Der Grumplschnupf

Der Grumplschnupf

Früher war alles besser. Die Bäume waren redseliger, die Elstern weniger vorlaut und die Winter summten leise ob der klirrenden Kälte. Der kleine Gnom erinnerte sich noch sehr wohl an die weiß gepuderten Zweige und Ästchen der alten Eiche, unter der er wohnte. Was war das für eine herrliche Zeit. Die Eichhörnchen hatten ihn besucht und er hatte ihnen Nüsse gegeben. Stets war seine Höhle voll von piepsen, fiepen und schnarchen. Letzteres kam von dem alten Igel, der in der hinteren Ecke seiner Behausung schon seit Jahren sein Winterquartier bezog. Das Schnarchen war dem Gnom geblieben. Mürrisch saß er vor seiner Höhle und kaute an einem kleinen Zweiglein.

„Hey Grumplschnumpf, du schaust so mürrisch drein wie der alte Weidendachs- nur das der nichts dafürkann.“ Gevatter Fuchs hatte sich unbemerkt genähert. Ihm war langweilig und er wollte plaudern. Gern war er bei dem kleinen Gnom und lauschte seinen Geschichten. In letzter Zeit allerdings sorgte er sich um seinen Freund. Es schien, als wäre er in den letzten Jahren kleiner geworden. Die spitzen seiner langen Ohren hingen seit neustem traurig nach unten und auch die Mundwinkel des kleinen Mannes neigten sich, eines Sägebügels gleich, dem Waldboden entgegen. Die großen Augen blickten traurig und das Rotfell befürchtete, dass auch bald die Stimme des Waldgnomes verstummen könnte, denn dieser erzählte leiser und brüchiger seine Geschichten aus der alten Zeit.

„Ach was weißt du denn schon von den schweren Gedanken eines mittelalten Gnomes. Du streifst durch deine Welt, fängst hier eine Maus und gräbst danach Wurzeln. Dein Leben ist jeden Tag einzig und du machst dir keine Gedanken um die nächsten Jahre. Die Zeit liebt dich, weil dein Leben kürzer ist als ein Augenaufschlag. Mich hingegen verhöhnt es jeden Tag. Nichts ist wie es sein sollte. Es stört mich ja gar nicht, dass der Zauber dieser Welt nicht mehr gesehen wird. Vielmehr ist es die Langeweile und die Alltäglichkeit dieser Zeit die mich, wie du richtig bemerkt hast, mürrisch macht.“

Und das war nicht alles. Dem Gnom fehlten die Menschen. Kaum mehr sah er jemanden vom großen Volk durch die Wälder streifen. Einstmals, so erinnerte er sich, hatten Mägde ihre Wäsche im kalten Waldbach gewaschen und an der Quelle tief im Wald den alten Göttern gedacht. Er erinnerte sich an Männer, die Holz schlugen und junge Mädchen die schweigend in aller Herrgottsfrühe zum Bach gingen und Osterwasser holten, während sie die Burschen zu erschrecken suchten. Hin und wieder kamen die Menschen auch zu der alten Eiche und ließen kleine Geschenke da. Zum Ausgleich fanden sie wenige Monate später die schönsten Blumen in ihrem Garten, bunte Vogelfedern auf ihrem Weg oder knackige Äpfel und süße Beeren auf ihrer Türschwelle. Nie hatte Grumplschnumpf vergessen, sich bei dem großen Volk zu bedanken. Nachdenklich kraulte er das Nackenfell des Fuchses, welcher sich neben ihm niedergelassen hatte, und schwieg nachdenklich. So saßen die beiden Freunde bestimmt eine Stunde, als der Rotpelz mit einem Mal die Ohren aufstellte, aufsprang und blitzschnell in einem Gebüsch hinter der alten Eiche verschwand. Verwundert sah Grumplschnumpf ihm nach, wollte schon rufen und fragen was das solle, als er ein Knacken hörte. Wie die meisten Gnome verhielt es sich auch bei ihm so, dass er sich blitzschnell seiner Umgebung anpassen konnte. Er lehnte sich also an den Stamm der alten Eiche und die Maserung der Rinde legte sich auf seine Haut und seine Kleidung. Einzig seine wachen Augen hoben sich ab und diese weiteten sich, als ein junger Bursche die Lichtung betrat. Fast ein Kind war er noch und sein Schritt war federnd und leicht. Vor der Eiche blieb er stehen und kramte in seinen Taschen, aus denen er zu Grumplschnupfs Überraschung bunte Bänder, ein Fläschchen mit rotem Inhalt und zwei Kerzen samt Halter holte. Nachdem er alles vor dem alten Baum ausgebreitet hatte, neigte er den Kopf und blondes Haar fiel über seine Augen. Leise stimmte er einen alten Singsang an, klagte dem Wald sein Leid und rührte das Herz des Gnomes.

„Geister des Waldes, hört mich an. Ich bin allein auf dieser Welt. Mein Vater starb vor wenigen Tagen und meine Mutter verlor den Verstand darüber. Nun muss ich für alle sorgen und weiß nicht, wie ich es machen soll. Demütig klage ich euch mein Leid. Ich habe Geschenke mitgebracht: bunte Bänder um die Windgeister zu ehren, Wein von den süßen Trauben meines Gartens, um die Erde gnädig zu stimmen, Kerzen um dem Feuer ehre zu geben und “, der junge Mann griff in die Tasche und holte einen durchsichtigen Stein hervor, „… Rosenquarz für die Götter des Wassers. Möget ihr mir doch gnädig sein und mir Beistand leisten. Ich möchte in eure Lehre gehen.“

Nach seiner Ansprache verteilte der Knabe seine Gaben. Die Bänder legte er um die Zweige der Eiche, den von dem Wein vergoss er einen kleinen Schluck auf den Boden vor dem Baum und stellte den Rest direkt neben den Gnom, die Kerzen platzierte er auf die Untersetzer und zündete sie im Windschatten von ein paar Steinen an und das Quarz wurde von dem Jungen an den Fluss übergeben. Verwundert beobachtete Grumplschnupf das ganze Tun des Menschen und erinnerte sich einer Zeit, in der er selbst als guter Geist des Waldes von Bittstellern besucht worden war. Seit Jahrhunderten aber war niemand mehr hier gewesen. Nachdem der Junge seine Gaben dargebracht und die Lichtung verlassen hatte, kam auch der Rotpelz wieder aus seinem Versteck hervor. Er schnupperte an der Stelle wo der Wein des Knaben versickert war und nieste verhalten. So etwas hatte der Fuchs auch noch nie erlebt. Fragend sah er zu dem Gnom, der sich wieder enttarnt hatte und nachdenklich das Werk des Menschenkindes betrachtete.

„Wahrscheinlich werde ich doch noch gebraucht. Menschen sind so furchtbar stolz, aber es scheint noch welche zu geben, die an alte Wunder glauben.“ Mutmaßte er und dem Fuchs fiel auf, dass sein alter Freund lächelte. Außerdem schien es ihm, als wäre Grumplschnupf von einem Moment auf den Anderen jünger geworden. Die Falten waren nicht mehr so tief, die Ohren liefen spitz zu und drehten sich eifrig mit dem Wind und hingen nicht mehr nach unten. Der Gnom schien wie ausgewechselt. Schon am nächsten Tag würde er sich auf den Weg zu dem Jungen begeben und der Gnom hoffte, dass seine Magie nicht eingerostet war. Er hatte sie schon seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt um Menschen Gutes zu tun. Der Fuchs hörte schwanzwedelnd den lebhaften Ausführungen seines Freundes zu und bellte hin und wieder bestätigend. Das bekamen wohl auch die Eichhörnchen mit und selbst der alte Igel unterbrach für einen Moment sein Schnarchkonzert. An diesem Abend war die Höhle voll und Grumplschnumpf erzählte die alten Geschichten. Irgendwann wurde seine Stimme schleppend und er schlief ein, was aber nicht an irgendwelchen traurigen Gedanken lag, sondern an schwerem, süßen, roten Wein.