Sturm!
Innen und außen, um mich herum. Zornig reißt er an mir und zwingt mich, meine Füße fest auf den Asphalt zu stemmen. Er konfrontiert mich, fährt unter meine Maskerade der Gleichgültigkeit, macht mich wütend und hält mich klein. Jeden Riss deckt er auf und nichts ist mehr einfach und gut verborgen. Das Leben wird ausgebremst. Ich werde entschleunigt. Unfreiwillig verlangsame ich meine Schritte. Fokussiere mich auf meine Mitte, die schon lang nicht mehr beachtet wurde. Ich flüchte mich in ein Café und auch da komme ich nicht zur Ruhe. Sobald sich die Tür öffnet, streicht ein Lufthauch über mein Gesicht. Fährt durch mein Haar. Draußen ist Herbst. Ich bin versucht, einen Zustand auf diese Jahreszeit zu schieben, aber es gelingt mir nur unaufrichtig. Ich weiß um die Ausreden, habe ich sie mir doch schon lang zurechtgelegt. Ich fordere Verständnis ein, ohne welches zu haben. Draußen wechselt sich die Feuerwehr mit dem Notarztwagen ab. Blaulicht und Sirenen. Der Sturm holt nicht nur mich bei mir selbst ab.
Im Café sitzen wenige Menschen. Auch hier finde ich keine Zerstreuung und das Schreiben deckt mehr und mehr mein Inneres auf. Es ist wie jedes Jahr. Oktober ist der Monat der ‚Abrechnung‘. Zeit, sich eine Decke zu schnappen und zu lesen. Zeit, das Jahr Revue passieren zu lassen. Tut man es nicht aus freien Stücken, wird man dazu ‚überredet‘. Das zumindest ist meine Theorie. Es ist wie mit dem Kind, das nie erwachsen werden wollte. Es wehrt sich mit Händen und Füßen, nur um schließlich in einer Welt von Phantasie und des märchenhaftem zu leben, gegen Piraten zu kämpfen und andere Kinder festzuhalten um nicht allein zu sein. Vielleicht ist es aber auch wie mit dem Mädchen, welches Kaninchen folgt und in ein Erdloch fällt. Wie habe ich Alice geliebt. Die Wahrheit hinter diesen Geschichten allerdings sieht anders aus. Alice, ein Missbrauchsopfer, die Erfindung eines pädophilen Autors der kleinen Mädchen widerliche Liebesbriefe schrieb, die weder gesund noch romantisch waren. Er war besessen von dem Kind, dem er seine Bücher widmete und zugegeben, es sind puppige Geschichten. Der Hintergrund ist aber gar nicht niedlich. Peter Pan war im Orginaltenor ein Kerl, der Kinder umbrachte, sobald sie ein gewisses Alter überschritten hatten. Daran ist sicher nichts heldenhaft verträumtes. Es ist schlichtweg die Geschichte eines Serienmörders, eines Irren ohne Gewissen der dem Wahn erlag, stets von jungem und lebendigen umgeben zu sein.
Meiner Meinung nach verhält sich das Leben ähnlich facettenreich. Man sieht natürlich stets zuerst das, was vor Augen liegt. Dem einen genügt das schon, der andere möchte gern mehr erfahren. Am Anfang steht stets die Verzauberung. Man ist fasziniert vom ersten Eindruck, oder abgeschreckt, kratzt am schönen Schein und kann sich entscheiden, ob man Oberflächlichkeit oder Tiefgang wählen möchte. So ist das mit allen Dingen des Lebens. Ich habe dieses Jahr an der Fassade gekratzt und nun bäumt sich mein inneres, vernachlässigtes ICH auf und meldet sich lautstark zu Wort. Warum ich mich darüber wundere weiß ich nicht, tut es das doch schon immer. Man vergisst schnell logische Gesetzmäßigkeiten und ist immer wieder überrascht, wenn sie dann schließlich eintreffen.
Und dann sehe ich dich und frage mich, ob es dir genauso geschieht. Kennst du auch diese irrationalen Untiefen, in die man immer wieder zu fallen scheint? Weißt du, wovon ich rede? Möglich, dass du es sogar besser verstehst als ich. So ist das immer. Außenstehende haben einen gesünderen Blick auf die Dinge. Den habe ich auch, wenn ich mit Menschen zusammen sitze. Fast immer schütten sie mir ihr Herz aus und ich habe mehr Emphatie für sie als für mich und mein allernahestes Umfeld. Während ich mich bedauere, verschwindet anderswo ein Mädchen. Beziehungen crashen und Menschen werden von einer schwärzeren Vergangenheit überrollt, als ich sie mir vorstellen kann. Menschen liegen im Sterben und würden gern leben. Andere gängen gern und müssen bleiben. Die Welt ist viel mehr als klein und eingeschränkt. Für mein Denken und Sein gilt selbiges. Die Einzige die sich beschränkt bin ich.
Im Moment erinnert mich das Leben an eine große Stadt, die einem eigenen Rhythmus folgt. Es ist scheinbar leicht, ihm zu folgen, und er zieht, drängt und treibt in diese eine Richtung. Es ist schwierig abzubiegen und wenn man es doch tut fühlt man sich einsamer als jemals zuvor. Dass man auch schon vorher verwaist war, denn das ist man in solchen riesigen Städten immer, klammert man aus. Fraglich, ob es einem überhaupt klar war. Plötzlich sind da nicht mehr diese Marionetten, welche diesem einen und speziellen Rhythmus folgen und denen man sich unbedarft angeschlossen hat. Man beginnt zu strudeln und hält sich an all den Dingen fest, die einem vor die Hände kommen. Es spielt keine Rolle, ob man sich an ihnen vergiftet, Hauptsache man strudelt nicht mehr einsam. Wenn es einen schon in den Abgrund reißt, dann doch bitte nicht alleine. Man teilt schließlich gern- zumindest verkauft man es.
Aus Burnout wird Fuck off- so einfach ist das. Mein Fuck off habe ich seit Jahren, nur zeige ich es niemanden. So lange man mich für stark und unfehlbar hält, tue ich das auch weiterhin. Der Boden allerdings beginnt langsam zu splittern. Erst war es nur ein Sprung, doch mittlerweile weiß ich nicht, wie lange es dauert bis ich einbreche und- falle. Das Glas wird splitternd brechen und ich werde ins bodenlose stürzen, dessen fühle ich einfach. Ich bin gespannt, wer am Ende da sein wird, um mich zu bergen. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich dann keinen ansehnlichen Anblick abgebe, inmitten meiner zersplitternden Masken. Du bist schon lang aufgebrochen. Oder war ich es, die davongelaufen ist? Ich erinnere mich nicht. Das Einzige was ich weiß ist, dass du nicht mehr bei mir bist. Möglich, dass du einen meiner Winter nicht überlebt hast. Vielleicht hat dich aber auch der Herbststurm fortgetragen. Nicht ausgeschlossen, denn wenn ich nach draußen schaue kann ich mir das gut vorstellen.
Du bist kein Peter Pan und ich keine Alice, aber beide folgen wir Piratenschiffen und weißen Kaninchen, sehen Grinsekatzen und füttern Krokodile. Wenn ich in die Schaufenster sehe, dann träume ich mich in die Welt hinter den Spiegeln und halte einen Moment inne, um bei mir zu sein. Oder bei dir?
Ja, Fuck off und kein Burnout. Wir spielen mit unseren Sehnsüchten und ich schreibe dir diese Zeilen, wiederhole mich, verwirre und entwirre Gedankenkonstrukte, bilde Knäule und kämpfe mit Dämonen. Ich werde diese Seiten in eine Glasflasche stecken und in den nahen Fluss werfen. Vielleicht finden sie ja den Weg zu dir? Dann, wenn du oder auch du sie liest, wirst du dich fragen was für eine verwirrte Seele ich doch bin.
Mir schnuppe! Tanz mit mir! Wirke verrückte Dinge, egal wo du gerade bist. Genieße das kleine Stückchen Leben, so lang du die Möglichkeit dazu hast.
Wie gern würde ich mich betäuben und unvernünftige Dinge tun- mich selbst spüren durch dich. Ich bekomme nie genug. Genau deswegen werde ich stets undankbar erscheinen. Das Leben ist mir zu eng und meine Möglichkeiten zu beschränkt. Diese Kakophonie genügt mir nicht. Innerlich renne ich weg- davon- um nie wieder zu kommen. Vielleicht finde ich ja meinen ruhigen Punkt. Wahrscheinlich wirst nicht du dazu werden und auch kein anderer. Ich will dich in den kurzen Momenten, die aufflackern. Ich will tanzen. Gedankenverloren. Lachen- nur für mich allein. Lieben- ohne mich zu verbiegen. Ich will mit dem Sturm fliegen, am Meer sitzen und mit Freunden Musik machen. Ich will Wein trinken, Whisky genießen und einfach nur sein.
Herbst!
Freund und Feind in einem.
Verehrt und gehasst und doch tief in mir.
Du, der du diese Zeilen liest, sei gewiss, dass du geliebt wirst.
Leb wohl!